Das Wort zum Sonntag #4

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Nirvana.
Johanna Lamprecht

Sonntag.
Ich erwache im Schlagschatten einer Unbekannten .
Gott, wenn es dich gibt, schick' mir einen Kugelschreiber, damit ich die Muttermale auf ihrem Rücken zu einem Pentagram verbinden kann. Schlampig blondiertes Haar, zerbeulte Hüften und Gesäß, schlecht rasierte Vagina. Ein Glückstreffer. Das Internet hat mich unlängst gegenüber zeitgenössischer Ästhetik abgestumpft. Um zu kommen, benötige ich fortan das Echte, das Ehrliche. Wenn Frauen indessen krampfhaft versucht sind, pornographische Handlungsschemata ins wirkliche Leben zu transferieren,  werde ich auf der Stelle wieder weich. Sie sagen dann: „Du, das macht echt nichts“ und ich sage dann: „Du, das liegt echt nicht an dir“ und wir wissen beide, dass wir lügen.
    Wenn ich auf Internetseiten mit pornographischen Inhalten verkehre, strebe ich nach Naturalismus, gebe mich ausschließlich der höchsten Form der Mimesis hin. Also tippe ich mit meiner linken Hand A-M-A in die Suchleiste ein - der Rest vervollständigt sich dann meistens von alleine. Seit meinem sechzehnten Lebensjahr bin ich unentwegt auf der Suche nach Amateuren, ganz egal ob off- oder online. Besonders anregend finde ich Fake-Footage von College-Partys oder Model-Castings.
    Das Gesicht hält die Unbekannte immer noch unter ihren Armen vergraben. Wer weiß, wie lange noch. Ich durchforste das zerwühlte Bett nach meiner Unterhose und etwaigen Wertgegenständen. Durch das gekippte Fenster vernimmt man Kindergeschrei, die Jalousien sind halb herunter gelassen. Der Geruch von kaltem Schweiß und abgestandenen Körperflüssigkeiten hängt immer noch benebelnd im Raum. Bis auf ein Kondom, das an ihrem Oberschenkel klebt, ist das Zimmer spartanisch eingerichtet.
Die schlecht zusammengeschraubten Billy-Regale zittern unter der Last undefinierbaren Unrats und billigen Taschenbüchern namenloser Autoren. Die plastikumrahmte analoge Fotoserie an den kalkigen Wänden umreißt das Leben hässlicher Menschen in unnatürlichen Posen. Obwohl mich dieses Sujet anwidert, empfinde ich das dringende Bedürfnis mir einen runterzuholen. Keine Zeit.
Im ganzen Raum keine einzige Vinyl. Zu meiner Linken befindet sich ein lächerlich großer Schwenkspiegel, die Sorte, die dich schlank zerrt. Der angrenzende Kleiderschrank ist tapeziert mit grotesken Foto-Schnippseln dieser überteuerten Modemagazine, die imgrunde nur aus Reklame bestehen. Ein dumpfes Raunen kündigt das baldige Erwachen meiner Beinahe-Bekanntschaft an.  Bevor sie sich zu mir drehen und mich in eine Konversation verwickeln kann, packe ich den ersten Knäuel Kleidung, der mir unterkommt und eile aus dem Zimmer. Im Vorraum finde ich schwarze Schuhcreme und schreibe „Smells like Teen Spirit“ auf den ohnehin verschmierten Wandspiegel.

 

Mein Gott, wie ich Nirvana hasse.