Selbstverwirklichung. Selbstfindung. Suche. Erfolg. Scheitern. Das alles sind mehr oder weniger die Mantras unserer Generation, wobei der letzte Punkt, das Scheitern, wohl unsere größte Angst darstellt. So sind wir erzogen, schließlich sind Leistungsdruck, Egozentrismus und die Hoheit eines sogenannten Subjektbegriffs fest in unserer kapitalistischen Kultur verankert. Doch was passiert, wenn das, was wir selbst nur zu gerne als unsere eigene Natur begreifen, uns den Spiegel vorhält und unerbittlich das Andere jenseits des schönen Scheins entlarvt? Was tun wir dann? Und überhaupt „Wie sollten wir sein?“ Diese Frage stellt die kanadische Autorin Sheila Heti in ihrem neuen Roman, wobei der englische Titel „How should a Person be?“ die Sache noch treffender formuliert.
Im Mittelpunkt der semifiktionalen Erzählung steht die Mittdreißigerin Sheila, die gerade frisch von ihrem Ehemann geschieden ist und über einem feministischen Theaterstück, der Auftragsarbeit für ein Theater, verzweifelt, dessen Inhalt irgendetwas mit Frauenfreundschaften verhandelt. Getrieben von dem Wunsch einzigartig zu sein, um die eigene innere Hässlichkeit zu vertuschen, von deren Existenz die Ich-Erzählerin fest überzeugt ist, bewaffnet sie sich mit einem Kassettenrekorder und nimmt die Gespräche mit ihren Freunde auf. Diese, die selbst alle aus einem kreativen Milieu stammen, so auch ihre beste Freundin, die Künstlerin Margaux, erscheinen ihr als so viel spannendere, in sich geschlossene Persönlichkeiten, sodass sie hofft, in der Fixierung ihrer Worte den rettenden Anker zu finden. Doch der vermeintlich gute Plan, das spannende Projekt, erweist sich als Trugschluss. Vielmehr noch als grundlegender Fehler, wenn sie Margaux die Transkription ihrer Gespräche überreicht. Die sonst so selbstsichere Künstlerfreundin sieht sich nämlich in ihrem wunden Punkt getroffen, sich in ihrer größten Angst bestätigt und ist tief verletzt. Und weil es Sheila ohnehin nicht mehr gelingt, ihre Einsamkeit in unterdrückendem Sex zu ertränken, bleibt ihr schließlich nur noch die Flucht, raus aus Kanada, irgendwohin, in eine Stadt, die große Künstler und namhafte Persönlichkeiten hervorgebracht hat. Ihre Wahl fällt auf New York. Doch auch hier realisiert sie bald, dass man vor seinen eigenen Gesitern nicht fliehen kann und so bleibt schließlich nur noch die Flucht nach vorne bzw. die Auseinandersetzung mit dem eigenen inneren Monster.
Hetis Roman wurde bereits in den USA als eines der großen Werke unserer Zeit gefeiert. The New Yorker lobte das Buch in hohen Tönen. Das deutsche Feuilleton stimmte ein und zog direkt einmal die Parallele zu Lena Dunhams Serie Girls, geht es schließlich doch auch hier um Frauenfreundschaften, die „white creative class“ sowie die Suche nach dem eigenen Ich. Achja, nicht zu vergessen, die unästhetisierte Darstellung von manchmal wirklich verstörendem, entwürdigendem Sex, der doch irgendwie konträr zur sonst so emanzipierten Oberfläche seiner Hauptfiguren zu laufen scheint. Wie dem auch sei, mit ihrer episodenhaft angelegten Erzählung trifft Heti den Zahn der Zeit. Wir alle, die wir uns dazu entschieden haben, der Eintönigkeit des Konservativen, der Sicherheit, den Rücken zu kehren, um in der Kreativität unsere Erfüllung zu finden, kennen das Problem des Stagnierens einhergehend mit der Angst, bei allem was wir tun, nicht genug zu sein. Wir fragen uns, ob das, was wir den anderen da vorgaukeln, vielleicht nur eine hübsch dekorierte Fassade ist, um die eigene Hässlichkeit darunter zu verbergen. Wir sehnen uns nach Beständigkeit, sind mit ihr zugleich aber völlig überfordert.
Was also tun? Wie kann eine mögliche Lösung unserer vielleicht selbst geschaffenen Probleme aussehen? Heti beantwortet sie uns nicht. Wer mit diesem Anspruch an ihr Werk herangeht, dürfte wohl bereits nach den ersten Seiten enttäuscht sein. Aber das ist schließlich auch gar nicht ihr Anspruch. Ihre Erzählung ist schließlich kein Selbsthilfebuch für ein besseres, glücklicheres Leben. Vielmehr ist es eine sehr detaillierte Abbildung der Wirklichkeit. Sie selbst beschreibt das Prinzip als „constructed reality“, basiert der Roman doch tatsächlich auf Tonbandaufnahmen von Gesprächen mit ihren Freunden. Dementsprechend sprunghaft und assoziativ wirken zuweilen auch die Dialoge ihrer Figuren, die praktisch nie einen runden Abschluss finden, sondern viel öfter ins Leere verlaufen, eben ganz so, wie das wahre Leben seine Geschichten und Unterhaltungen schreibt. Und noch etwas erscheint an ihrer Erzählung so unglaublich erfrischend, schafft sie es doch, weibliche Individuen einmal ganz ohne die Suche nach der Liebe in den Blick zu nehmen. Im Fokus steht eine Frauenfreundschaft, in der die Suche nach dem Traummann einfach keinen Platz hat. Ohnehin erscheinen den Figuren solche Lapalien eher unbedeutend. Was Sheila an der einst Ehe faszinierte, war nie das Gefühl der Geborgenheit oder die Hoffnung den eigenen Seelenverwandten gefunden zu haben. Es war und ist der Prozess der Veräußerung, die Überhöhung bestimmer Gefühlsregungen und Emotionen durch eine bewusste Ausgestaltung, die sie in ihren Bann ziehen. Nein, hier muss Frau sich nicht über das Lieben und Leiden zu einem Mann konstituieren, hier existiert sie tatsächlich in bester feministischer Manier, trotz all der oben beschriebenen Offenheit ihrer Person, als eigenständiges, in sich abgeschlossenes Wesen.
"Wie sollten wir sein?" erzählt in Episoden von der Suche nach dem eigenen Ich, wobei offen bleibt ob wir überhaupt jemals in der Lage sein werden, dieses zu finden. Denn am Ende fügen sich auch die vielen kleinen Episoden nur zu einer großen zusammen, die in ihrem angelegten Charakter bereits darauf verweist, dass vor ihr bereits andere waren und auch nach ihr noch die ein oder andere kommen wird. Ein Buch das schwer zu fassen ist und genau aus diesem Grund so fesselt. Das nicht dem Kitsch verfällt, sondern gnadenlos an der Realität festhält. Prädikat: absolut lesenswert!