Die Kamera stets im Anschlag, den Finger auf dem Auslöser, allzeit bereit, das eine große Bild zu schießen, mit dem sich auf einen Schlag der Geldbeutel füllen lässt. Paparazzi sind ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Sie sind Jäger, die Kamera ist ihr Gewehr, Prominente aller Kategorien ihre Beute. Dabei lauern sie mal im Verborgenen, sind dann wieder offenkundig aufdringlich und überschreiten so gut wie immer die Grenzen von Freiheit und Selbstbestimmung.
Die Kunsthalle SCHIRN widmet ihnen nun eine ganze Ausstellung. “Paparazzi! Fotografen, Stars und Künstler” setzt sich seit dem 27. Juni mit der Faszination für die Starfotografie auseinander und eröffnet in rund 600 Arbeiten nicht nur einen Einblick in die Welt des Blitzlichtgewitters, sondern verhandelt auch gezielt dessen spezifische Ästhetik. Gezeigt werden „Ikonen“ der Paparazzi-Fotografie, die sich fest in das Bildgedächtnis eingebrannt haben, darunter Brigitte Bardot, Jackie Kennedy-Onassis, Lady Di oder jüngere Paparazzilieblinge wie Paris Hilton und Britney Spears. Neben Arbeiten der berühmtesten Vertreter der Paparazzi-Fotografie wie Ron Galella, Pascal Rostain und Bruno Mouron oder Tazio Secchiaroli zeigt die Überblicksausstellung künstlerische Positionen u.a. von Cindy Sherman, Gerhard Richter, Andy Warhol, Barbara Kruger, Paul McCarthy und Richard Avedon, die in kritischer Auseinandersetzung die spezifischen Charakteristika der Paparazzi-Ästhetik ausgelotet und ergründet haben. Konzipiert und organisiert vom Centre Pompidou-Metz erzählt die Ausstellung anhand von Fotografien, Videos, Gemälden, Skulpturen und Ähnlichem Geschichten aus über 50 Jahren Paparazzi-Fotografie und nimmt den Paparazzo dabei selbst ins Visier.
Pascal Rostain: Mick Jagger und Jerry Hall im Pré Catelan, Paris, 19 juin 1980, Silbergelatineabzug, 20 x 30 cm, Courtesy Pascal Rostain/Agence Sphinx
„Das Private ist öffentlich“, nie traf dieser Satz wohl so sehr zu, wie im Falle der Paparazzi und ihrer Fotografie. Doch woher eigentlich stammt der Begriff, der in unserer Gegenwart zum Synonym für den Bruch der Privatheit geworden ist,? Als Geburtsstunde des heutigen „Paparazzos“ gilt das Jahr 1960, als in Federico Fellinis Film „La Dolce Vita“ ein Fotoreporter namens „Paparazzo“ auftritt, der trotz der Tatsache, dass er eigentlich nur eine Nebenfigur darstellt, prägend wird für die Faszination und Sehnsucht nach dem Starkult. Denn bei dieser Form der Fotografie geht es wie bei keiner anderen um das Sichtbarmachen dessen, was eigentlich im Verborgenen bleiben soll sowie die unmittelbare Annäherung an Menschen, die wir gern alle zu unseren besten Freunden zählen würden. Indem die Paparazzi versuchen Stars, Politiker und Prominente ihrer intimsten Momente zu berauben, gewähren sie ihrem Publikum, der neugierigen Öffentlichkeit, schließlich den Weg in eine Welt, die ihnen sonst verschlossen bliebe. Dass diese Teilhabe am Ende aber trotzdem nur eine scheinbare ist, das ist eine andere Geschichte, die gerahmt durch Yellow Press Formate nur zu gerne ausgeblendet wird. Mit einem gelungenen Schnappschuss wird der Star greifbar, ein paar ergänzende Textzeilen verleihen uns das Gefühl von Angesicht zu Angesicht mit ihm geplaudert zu haben. Was kümmert uns da die Realität hinter dem vermeintlichen Schein. Gleichzeitig setzt mit dem Betätigen des Auslöser eine Wechselwirkung ein, von der so manches Sternchen in der Öffentlichkeit profitiert. Das Beispiel Paris Hilton verdeutlicht wie kein Zweites die popularitätssteigernde Wirkung einer gelungenen Inszenierung durch die Paparazzi. Denn längst sind nicht mehr alle vermeintlichen Schnappschüsse auch tatsächlich solche. Einige Stars arbeiten bewusst mit Paparazzi zusammen, um ein bestimmtes Bild von sich zu inszenieren, zu propagieren. Auf der anderen Seite verhilft die gepflegte Hassliebe zum Fotografen vor dem Haus oder hinter der nächsten Hecke dazu, sich wenigstens doch ein Stück der begehrten Privatheit zurückzuerobern: Du bekommst deinen Schnappschuss zu einem abgestimmten Termin - Dafür lässt du mich jetzt in Ruhe. So lautet der Deal, beide Seiten profitieren davon.
Doch ob nun freiwillig oder doch im Geheimen abgelichtet, aus der Fotografie im Verborgenen erwächst eine eigene Ästhetik, die mit nicht selten mit den Elementen der klassischen Bildkomposition bricht. Vor allem solche Fotos, in denen der Paparazzo enttarnt und damit für sein Motiv sichtbar wird, forciert eine Ästhetik, die von bildenenden Künstlern regelmäßig aufgegriffen und verarbeitet wird. Eine rausgestreckte Zunge wird dann ebenso wie der Mittelfinger oder die verdeckende Hand zum Symbol der Rebellion, der Rebellion gegen ein System, dass den Star seiner eigenen Mündigkeit beraubt und dabei zugleich die mediale Krankhaftigkeit unserer Zeit verdeutlicht. Das Streben nach Ruhm, nach öffentlicher Aufmerksamkeit, dass mit der Etablierung des Internet noch einmal rasant an Geschwindigkeit zugelegt hat, lässt Warhols Postulat nach den 15 Minuten Ruhm für jeden Menschen längst wie eine Dystopie erscheinen. Das soziale System hat die Kontrolle über jene Geister verloren, die es selbst gerufen hat. Die Paparazzi sind ihr visuelles Abbild, dass manchmal umso groteskere Formen annimmt, wie etwa die Kostümierung als Busch oder die Annäherung mit Helm, um einer möglichen Wutattacke des Prominenten zu entgehen, beweisen. Schließlich fällt vor allem das ungleiche Verhältnis zwischen männlichem Fotograf und weiblichem Star auf. Frauen scheinen innerhalb der Boulevardfotografie ein überdurchschnittlich begehrtes Modell zu sein. Ihre männlichen Kollegen werden in der Regel weniger penetrant belagert. Damit stellt sich die Frage in wie weit die Ästhetik der Paparazzi jenen konservativen Mustern folgt, die die Frau als Objekt einer männlichen Schaulust inszenieren; in der eine patriarchale Hegemonie, wie sie zahlreiche Feministinnen kritisieren, seine detaillierte Ausgestaltung findet.
Die Ausstellung in der SCHIRN ist in drei Abschnitte gegliedert, die sich im Einzelnen mit den oben benannten Phänomenen auseinandersetzen. So beschäftigt sich der erste Abschnitt vor allem mit der Frage, was es heißt, als Paparazzo zu arbeiten und welche Mentalität dieser Berufsstand erfordert. Dabei steht im Besonderen jene Ambivalenz zwischen einer als skrupellos wahrgenommenen Person und der ihr entgegengebrachten Faszination im Mittelpunkt. Mit dem zweiten Kapitel „Stars“ illustriert die Ausstellung, wie sich die Aufmerksamkeit der Paparazzi alle paar Jahre auf ausgewählte besondere Persönlichkeiten konzentriert. Der Ausstellungsabschnitt präsentiert eine umfangreiche Auswahl von Aufnahmen der berühmtesten Paparazzi des 20. Jahrhunderts – darunter Daniel Angeli, Francis Apesteguy, Ron Galella und Marcello Geppetti, außerdem Bruno Rostain und Pacal Mouron bis hin zu Erich Salomon, Tazio Secchiaroli, Sébastien Valiela und Weegee –, die höchst unterschiedliche Herangehensweisen verfolgen, um zum besten Schuss zu kommen und die mit ihren vermeintlichen Opfern teilweise Freundschaften oder zumindest langjährige Hasslieben pflegen. Der dritte Teil der Präsentation ist den Künstlern gewidmet. Die spezifischen Arbeitsumstände der Paparazzi produzieren eine ganz eigene Ästhetik, die von der Kunstwelt regelmäßig übernommen und thematisiert wird. So haben Eile und Improvisation in der Bildfindung Auswirkungen auf die Komposition.
Jean Pigozzi: Mick Jagger und Arnold Schwarzenegger, Hôtel du Cap, Antibes, 1990, Silbergelatineabzug, 27,9 x 35,6 cm, Centre Pompidou, Musée National d’Art Moderne, Paris
Insgesamt bietet die Ausstellung nicht nur spannende Einblicke in die Welt von Starkult und Fotojagd, sie verdeutlicht in der dreigeilten Auseinandersetzung mit dem Gegenstand auch jene tiefe Sehnsucht, die noch immer an den Status des Stars gekoppelt ist, sowie jenen Drang zum Voyeurismus, der in jedem sozialen Wesen grundsätzlich verankert scheint.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 12. Oktober und so viel sei schon einmal verraten, neben der reinen Kunstvermittelung erwartet den Besucher auch die ein oder andere nette Spielerei.
Paul Schmulbach: Marlon Brando und Ron Galella beim Benefizball der American Indians Development Association im Waldorf Astoria Hotel, New York, 26. November 1974, Silbergelatineabzug, 20,3 x 25,4 cm © Ron Galella, Ltd