Was sich ein bisschen anhört wie ein Vergeltungsschlag gegen den Ex, ist in Wirklichkeit mehr als nur ein gebrochenes Herz oder verletzter Stolz. Henry ist, nein, Henry WAR ein aktives Non-Hodgkin-Lymphom, das vor etwas mehr als zwölf Monaten das Leben der Berliner PR-Beraterin und Lebefrau Janine Schmidt komplett auf den Kopf stellte: Als Janine nach einer stressigen Phase im Job einsieht, dass sie mal eine Auszeit braucht, bittet sie ihren Arzt, sie mal gründlich durchzuchecken und für zwei Wochen aus dem Verkehr zu ziehen. Kurze Zeit später bekommt sie die erschütterndste aller Diagnosen: Krebs. Und obwohl sie schon davon gehört hatte, dass jedes Jahr allein in Deutschland etwa 490.000 Menschen neu daran erkranken und 221.000 Menschen jährlich daran sterben, fällt es schwer zu begreifen, dass es dieses Mal nicht um die „Anderen“ geht. Doch anstatt sich zu verkriechen, gibt sie dem ungefragten Gast einen Namen und beschließt, ihm den Garaus zu machen. Janine richtet einen Blog ein, um sich mitzuteilen, aufzuklären und Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Immer an ihrer Seite: ihre Mama. Gemeinsam führen sie einen für die Ärzte damals fast aussichtslos erscheinenden Kampf und siegen! Denn Henry hat sich der beispielhaften Power und Zuversicht dieser unglaublich starken Frau ergeben und den Rückzug angetreten! Im Interview berichtet Janine von der schwersten Zeit ihres Lebens, was sich seitdem verändert hat und wie es jetzt weitergehen wird.
Wann und wie hast du die Diagnose bekommen, dass du Krebs hast?
Ich hatte zu dem Zeitpunkt sehr viel Stress in meinem damaligen Job und brauchte einfach mal eine Auszeit. Deswegen suchte ich meinen Arzt auf und erzählte ihm auch von seltsamen Seitenstechen, die ich seit geraumer Zeit hatte. Das Absurde ist, dass ich die zwar schon eine ganze Weile wahr-, aber nie ernst genommen hatte. Man schiebt so etwas schnell ab - ich habe zu wenig gegessen, getrunken, geschlafen, zu viel gearbeitet, bin zu schnell gelaufen. So etwas eben. Vermeintliche Gründe finden sich da zur Genüge. Als dann das Ergebnis vom Bluttest nicht so recht in Ordnung schien, schickte er mich zum Ärzteforum und da kam dann relativ schnell der Anruf, dass ich in die Praxis kommen solle.
Hattest du da schon eine Vorahnung, was kommen könnte?
Eigentlich nicht. Ich wurde dann auch erst einmal zum Röntgen geschickt und dachte die ganze Zeit nur - ja, was soll das schon sein? Auf den Röntgenbildern habe ich dann aber schon erkennen können, dass da etwas ist, was da wahrscheinlich nicht hingehört. Darauf folgten weitere Untersuchungen im CT und da wurde mir doch etas mulmig. Als dann am besagten Tag, an dem ich das Ergebnis bekommen sollte, um 08:00 morgens das Telefon klingelte, fing das Kopfkino an.
Was ist dann passiert?
Im Krankenhaus erwarteten mich bereits zwei Ärzte - da wusste ich, dass etwas nicht in Ordnung war. Als es der Arzt dann aussprach - „Tumor“ - war das ein bisschen als ob jemand die Rollläden runterlässt. Schockstarre. Das einzige, woran ich denken konnte, war: „Bloss nicht heulen.“
Wann kam dann Henry ins Spiel?
Nach der Diagnose bin ich erst einmal nach Hause gefahren und habe meine Gefühlen freien Lauf gelassen. Komischerweise erschien mir genau in dem Moment der Name „Henry.“ Ich habe mich gefragt, was soll dieser Name? Ich kenne keinen, der Henry heisst. Aber irgendwie war das ein Zeichen und so ist der Tumor zu seinem Namen gekommen. Dann habe ich meine Eltern angerufen.
Wie haben die reagiert?
Meine Mutter hatte schon gespürt, das etwas nicht stimmt. Sie hatte die Nacht schlecht geschlafen und musste wohl ganz doll an mich denken. Sie ist sofort nach Berlin gekommen und dann ging eigentlich alles relativ schnell. Ich musste zur Biopsie, um festzustellen, in welchem Stadium der Krebs ist. Da hat man dann auch festgestellt, dass es fünf vor Zwölf ist und es sich um ein Non-Hodgkin Lymphom handelt.
Was spielte sich dann in deinem Kopf ab?
In erster Linie ging es erst einmal nur darum, nach vorne zu schauen und zu gucken, was meine Optionen sind. Die waren begrenzt, weil diese Art von Tumor nicht verkapselt ist. Eine OP war also ausgeschlossen und es kam nur eine Chemotherapie in Frage. Ich hatte damals wahnsinnig lange blonde Haare und bin vorher noch einmal zum Friseur gegangen. Ich dachte: „Hey, wenn die Dinger eh ausfallen, dann machen wir jetzt einen radikalen, verrückten Kurzhaarschnitt.“
Wann sind Dir dann die Haare ausgefallen?
Nach der zweiten Sitzung der Chemotherapie. Es ist schon heftig, wenn du morgens aufwachst und die Dinger einfach auf dem Kopfkissen liegen bleiben. Das schlägt einem so dermaßen aufs Gemüt. Aber da war dann auch meine Mama wieder die grösste Hilfe. Wir haben dann beschlossen dem zuvorzukommen und sie abzurasieren, uns dafür ein Glas alkoholfreien Sekt eingegossen und beide ganz viel geweint. Man kann auch nicht immer zwanghaft Stärke suggerieren, sondern muss den Gefühlen manchmal auch einfach freien Lauf lassen. Und das war sehr, sehr gut.
Du hast Henry vom ersten Moment an den Krieg erklärt. Woher kam deine offenbar unerschütterliche Zuversicht und Kraft?
Auch wenn es nicht einfach war, habe ich mich bewusst dafür entschieden, nicht in Mitleid zu versinken. Ich habe viele andere Krebspatienten in der Zeit kennengelernt, die sich so zurück gezogen haben, dass ich es selber kaum aushalten konnte. Immer diese Frage „Warum ich?“ - das konnte ich nicht mehr hören. Ich glaube, je negativer du damit umgehst, desto leichter machst du es dem Krebs. Das sagen sogar die Ärzte. Ein positive Einstellung hat ja nichts damit zu tun, dass man irgend etwas überspielt, aber man muss sich dem Schicksal nun mal stellen und nach vorne schauen. Ich wollte dem Ding einfach den Mittelfinger zeigen und sagen „Verpiss dich, ich will leben!“
Das war gerade während einer Chemotherapie aber sicher nicht immer so einfach, wie es sich anhört, oder?
Überhaupt nicht, nein! Du hast keine Kontrolle mehr über deinen Körper, nimmst teilweise extrem viel ab, bekommst Bluttransfusionen, hast keine Wimpern und Augenbrauen mehr und guckst in den Spiegel und denkst, wer bin ich? Eine Zeit lang musste ich sogar einen Mundschutz tragen, weil das Immunsystem so weit unten war. Auch da hatte ich die Wahl, mich entweder zu Hause zu vergraben oder auf die Strasse zu gehen. Ich habe mich für Letzteres entschieden, ich wollte ja weiter am Leben teilnehmen.
Wie haben die Menschen auf dich reagiert?
Unterschiedlich. Viele dachten, ich hätte eine ansteckende Krankheit, aber im Endeffekt war es ja eher so, dass ich mich vor den Leuten geschützt habe. Vor allem Kinder haben viel gefragt. Und da gab es Eltern, die cool reagiert und andere, die ihre Kids wiederum sofort weggezogen haben. Ich hätte mir gewünscht, dass die Leute öfter einfach mal auf mich zugekommen wären und nachgefragt hätten, warum ich den trage. Aber da herrscht einfach immer noch viel zu viel Unwissenheit und Unsicherheit.
War das auch eine Argument dafür dein Blog einzurichten?
Auf jeden Fall. Ich wollte darauf aufmerksam machen, wie schwierig so ein Alltag als Krebspatient ist. Und ich wollte die Leute dazu aufmuntern, auch einfach mal über ihren Schatten zu springen und andere anzusprechen. Gerade in einer Großstadt, bleibt das oft auf der Strecke, jeder ist so sehr mit sich selber beschäftigt.
Was rätst du anderen Patienten?
Habt Vertrauen! Ich habe mich tatsächlich während der Therapie bewusst null im Internet oder so informiert. Wenn ich Fragen hatte, bin ich immer direkt zum Arzt gegangen. Jeder Patient, jeder Krebs, jede Behandlung ist individuell - das kann man nicht miteinander vergleichen. Ich bin ich, Henry ist Henry. Sich verrückt zu machen, hätte gar nichts gebracht.
Und das scheint bei dir ja auch funktioniert zu haben. Wie geht es Dir heute?
Gut! Man muss dazu sagen, dass die Ärzte zwischenzeitlich bei mir sogar so weit waren, mit einer Stammzellen-Transplantation in Quarantäne fortfahren zu wollen, weil der Zustand eben so akut war. Wie es aber im Moment aussieht, brauche ich das alles nicht mehr. Henry ist zwar noch da, aber es gibt nur noch einen sehr kleinen Teil, der aktiv sein könnte. Die Ärzte hatten sich darauf eingestellt, was sie machen, wenn er wächst oder so bleibt, aber sie hatten sich nicht darauf vorbereitet, dass er schrumpfen könnte und waren mit der Diagnose fast ein bisschen überfordert (lacht erleichtert und stolz). Ich glaube ganz fest daran, dass das zu 90% meiner Einstellung zu verdanken ist.
Wie hat sich seit Henry deine Sicht aufs Leben verändert?
Natürlich habe ich irgendwann angefangen Ursachenforschung zu betreiben. Da man allerdings immer noch nicht genau weiss, woher das Non-Hodgkin Lymphom kommt, ist das schwierig. Ich habe für mich aber meine eigene Wahrheit gefunden und bin der Meinung, dass ich Henry durch zu viel Stress regelrecht gefüttert habe. Dementsprechend hinterfrage ich natürlich jetzt meinen bisherigen Lebensrhythmus und schraube den Beat drastisch runter. Und ja, ich habe auch meine Ernährung umgestellt und suche nach Alternativen. Wenn du einmal Krebs hattest, versuchst du in Zukunft allem, was noch einmal ursächlich dafür sein könnte, aus dem Weg zu gehen.
Wie sehen deine Zukunftspläne aus?
Wenn die Chemotherapie vorbei ist, ist es als würde jemand das Licht wieder anknipsen. Ich habe jedenfalls so unglaublich viele Ideen und Energie, das ist unfassbar! Wohin genau das führen wird, kann ich noch nicht sagen. Ich lasse das auf mich zukommen. Natürlich ist die Geschichte von Henry irgendwann erzählt, aber ich möchte den Blog weiter ausbauen, anderen Betroffenen zur Seite stehen und ein Bewusstsein dafür schüren, achtsam mit sich umzugehen. Und dann gibt es da auch noch einen ersten kleinen Merchandise mit Shirts und iPhone-Cover, die man bei DaWanda kaufen kann. Das Design ist von Twisted Talents, die den Schriftzug entworfen haben - das T-Shirt war eigentlich ein Geschenk für mich, das sie mir ins Krankenhaus geschickt haben. Daraus ist jetzt ein kleines Charity-Projekt geworden, bei dem ein Teil des Erlöses an die DKMS Life geht, die ich weiterhin unterstützen werde.
Was möchtest du den Leuten da draussen noch mit auf den Weg geben - hier und jetzt - und in Zukunft auf deinem Blog?
Es ist dein Leben, mach das Beste draus und scheiss darauf, was andere denken. Das klingt immer so doof, aber da steckt ganz viel Wahrheit drin! Wichtig ist, bei allem mit dem Herzen dabei zu sein, dann wird alles gut.
Danke, liebe Janine, für diese aufrichtigen Worte und deine unglaublich ansteckende Zuversicht!
Das Interview wurde Anfang März geführt. Mittlerweile hat sie die Gewissheit: Henry hat sich verpisst. Auf ihrem Blog schreibt sie: „Auch wenn Henry aufgegeben hat, ist es noch ein langer Weg. Das nächste Jahr ist sehr wichtig, gibt es hier einen Rückfall ist das eher suboptimal. Bleibt Henry die nächsten fünf Jahre im Krebshimmel und kommt nicht mehr wieder, bin ich offiziell krebsfrei!“ Wir drücken alle Daumen und verbleiben mit den einzig angebrachten Worten: „Fuck Off Henry – For Ever Ever Ever!“ [Zum Blog #fuckoffhenry bitte hier entlang: Klick.]
GASTAUTOR | Stephanie Johne
Über Umwege kommt man bekanntlich ans Ziel. Nach Zwischenstopps beim Fernsehen und diversen PR Agenturen ist die studierte Kunsthistorikerin heute da angekommen, wo sie ihre Leidenschaft ausleben kann - beim Schreiben. Neben zahlreichen Kolumnen in anderen Magazine schreibt sie ihren eigenen Blog WOMAN.MADE und ackert eifrig an der gleichnamigen Schmuckkollektion. Anschauen!