Liebe ist weißes Rauschen. Wird man lange genug solch einem irren Reiz ausgesetzt, verschwindet er für gewöhnlich, man habituiert. Die Oxytocin-Reserven sind aufgebraucht, was bleibt ist----
„Kann ich dir noch etwas bringen?“, bläst mir der Kellner den letzten Hauch seiner Rauchpause entgegen. Ich lasse die Eiswürfel im Glas rotieren und kippe es runter. „Ich nehme noch so eins “, knirsche ich, die Würfel wie ein Eisbrecher zermalmend. „Oder nein - irgendwie hätte ich doch lieber etwas... Unterhaltsameres.“
„Etwas Unterhaltsameres.“
„Ja, du weißt schon. So einen Dating-Drink, wo man ein bisschen dran zu arbeiten hat, falls mal eine peinliche Pause eintritt oder so.“
Der Kellner blickt verdutzt, fährt sich durch die Preppy-Tolle und wischt sich die Pomade anschließend wieder an der Schürze ab.
„Weißt du was“, sage ich, „bring mir am besten das, was die dort haben.“ Er folgt meinem Blick und gibt mir mit einem subtilen Nicken zu verstehen, dass auch er verstehe. Noch ein weiteres mal mustert er die zwei, wie sie apathisch in ihren Cocktails rühren und stochern und verschwindet ohne ein weiteres Wort hinter der Bar.
---- was bleibt ist entweder das, was deine Großeltern seit fünfzig Jahren miteinander haben oder die Sorte Gefühl, die du empfindest, wenn sich das vermeintlich volle Glas Nutella im Schrank als hohle Täuschung erwiesen hat. Jegliche Oberflächlichkeiten wie Aussehen, Ansehen und Kreditwürdigkeit verpuffen früher oder später doch in den Limbus der Alltäglichkeiten. Liebe ist nicht blind, nein. Liebe ist ein blinder Fleck am Auge des Betrachters. Gemeinsame Momente sind nichts als abstrakte Puzzleteile, welche erst in ihrer Gesamtheit den jeweiligen Menschen zu porträtieren imstande sind.
Seit ich hier sitze hat das Cocktail-Pärchen noch kein einziges Wort miteinander gewechselt. Selbst aus der etwas tollpatschig formulierten Frage des Kellners „Bei euch passt alles?“, resultierte nichts als ein simultanes Nicken. Die vorherrschende Stille ist kalt, lähmend. Doch wie eine Eisscholle schwimmt sie bloß an der Oberfläche:
„Es geht einfach nicht. Nicht mehr. Jeder einzelne Tag ist doch nichts weiter als ein weiterer Kompromiss“, sagt ihre Oberlippe, sich langsam hochziehend, wartend und wieder senkend.
„Aber wie kannst du das denn auf einmal sagen. Bis zur letzten Woche war doch alles gut... Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragt das kleine Fältchen neben seinem rechten Nasenflügel.
Sie blinzelt, länger als sonst. Das winzige gelbe Pigment in ihrem linken Auge antwortet: Es ist doch immer gut, bis es nicht mehr gut ist. Such nicht immer nach Gründen. Immer suchst du nach Gründen und – denkst nicht daran, dass es nicht immer einen Grund geben kann. Weder für den Anfang noch für das Ende.“
In diesem Moment bringt der Kellner meinen Drink - mit viel Eis und dem zugehörigen botanischen Pipapo. Gerade richtig, denn eine Stimme mir vertrauten Akzents fragt hinter mir: „Wartest du schon lange?“
„Nein“, sage ich, „überhaupt nicht.“