AEÖ | Esprit Montmartre

laura
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Die Bohème in der SCHIRN
Bilder via SCHIRN

Bohème. Ein Begriff, der heute noch von einer großen Aura umgeben scheint. Was früher Synonym für ein mittelloses Künstlerklientel gewesen ist, wird heute nicht selten durch den Zusatz "digital" für die im Web arbeitende Creative Class genutzt. Doch dem Lebensstil, der auf viele von uns heute so eine Faszination ausübt, tritt man um 1900 – einer der großen Phasen der Bohème  eher mit Abkehr gegenüber.

Und überhaupt, wer sind das eigentlich, diese Leute, die sich nicht darum scheren ein bürgerliches, tugendhaftes Leben zu führen. Sie verschreiben ihr Leben der Kunst, der Malerei, dem Schreiben oder irgendeinem anderen höheren Sinn, der ihnen am Ende des Tages aber doch kaum Geld einbringt. Tägliche Arbeit kennen sie nicht oder sie meiden sie zumindest geschickt. Stattdessen hocken sie den lieben langen Tag in Cafés, wo sie mit ihresgleichen nicht selten lautstarke Diskussionen führen. Wein gehört zu ihnen, wie die Luft zum Atmen, gar nicht erst zu sprechen von anderen Rauschmitteln wie Absinth. Armer van Gogh, das Zeug hat dich das Ohr gekostet. Und haben die Cafés erst einmal geschlossen, wird die Nacht zu ihren Tag. Dann fließt der Geist am besten oder wenigstens die nächste Flasche Wein. So viel zum Klischee. Doch wie so oft im Leben steckt auch hier mindestens ein Funke Wahrheit darin, auch wenn die Bohème, vor allem was ihr Schaffen und ihren Einfluss auf die Nachwelt betrifft, noch viel mehr ausmacht.

 

Fest steht, in allen größeren Metropolen gibt es Viertel, in denen sich, früher und heute, Menschen zusammenhorten, die ihr Leben nicht in den Zwang bürgerlicher Ideale stellen wollen.  Sie faszinieren damals nicht weniger, werden aber lieber aus der Distanz heraus betrachtet. Eines dieser berühmten Fleckchen, an denen Freigeist, Kunst und Wein täglich aufeinandertreffen, ist um 1900 das Viertel Montmartre in Paris. Es gilt als Viertel der Außenseiter und sozialen Veränderungen. Hier ballt sich das bohème Leben und man trifft auf so bedeutende Namen wie Edgar Degas, Pablo Picasso, Henri de Toulouse-Lautrec oder Vincent van Gogh. Und dieses Who ist who der Kunstgeschichte sitzt nicht nur den lieben langen Tag zusammen: In einem bislang völlig neuen Realismus entwerfen sie einprägsame Bilder einer Zeit, die schonungslos die Kehrseiten der schillernden Belle Époque vor Augen führen. Ihre Arbeiten prägen dabei bis heute die Kunstgeschichte des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts maßgeblich.

 

Die Frankfurter Kunsthalle SCHIRN widmet der Bohème und ihrem Leben in Montmartre seit heute, dem 7. Februar eine Ausstellung. „Esprit Montmartre – so der schmucke Titel – wirft erstmals einen Blick auf über 200 Werke verschiedenster Künstler, in deren Zentrum besagtes Stadtviertel mit seinen Geschichten und Protagonisten steht. Neben dem Ort selbst, portraitieren sie die darin lebenden Menschen, den Trubel in den Cafés, werfen aber auch einen Blick auf das Rauschhafte und das ungeschönte Elend. Alles wird festgehalten und damit zur historischen Realität gemacht. Gleichzeitig verdeutlicht sich über das Netzwerk der Künstler und Kunsthändler der gemeinsame Austausch und das Erblühen des Handels im Viertel. Mit dem Plakat als neue Kunstform und den Illustrationen in Zeitschriften befasst sich eine Sektion der Ausstellung.

 

 

Gestern Abend feierte „Esprit Montmartre“ Eröffnung. Was dort zusammengetragen worden ist, und in einem Ambiente aus kräftigem Rot präsentiert wird, entführt den Besucher zurück in die Zeit um 1900. Neben Arbeiten des jungen Picasso, stechen vor allem Namen wie Kees van Dongen oder Henri de Toulouse-Lautrec hervor. Suzanne Valadon und Marie Laurencin verkörpern dagegen als zwei der wenigen weiblichen Bohèmiennes die Emanzipation der Frau, brechen sie doch beide mit dem traditionellen Rollenbild ihrer Zeit. Verhältnismäßig klassisch ist die Ausstellung in der sonst so zeitgenössischen SCHIRN aufgebaut. Kleine Sitzbänke, bezogen mit rotem Samt laden zum Verweilen ein. In der Rotunde finden sich wie gewohnt dann auch die historischen Fakten.

 

Insgesamt eine gelungene Ausstellung, die jedem Verehrer der Bohème eine kleine Freude sein dürfte. Es gibt viel zu sehen und nicht weniger zu entdecken. Ein einziger kleiner Wehmutstropfen: Es wäre schön gewesen, Kunst und Fakten ein wenig mehr miteinander verschmelzen zu lassen. Das hätte dann auch irgendwie mehr dem Sinn der Bohème entsprochen, deren großer Anspruch doch stets darin bestanden hat (und heute noch besteht), Leben und Arbeiten untrennbar miteinander verschmelzen zu lassen. 

 

 

 

 

Bildindex (vlnr):

1) Auguste Chabaud: Moulin Rouge la nuit, 1907, Öl auf Leinwand, 82 x 60 cm. © Association des amis du Petit Palais Genève

2) Théophile Steinlen: Le 14 juillet, 1895, Öl auf Leinwand, 38 x 46 cm. © Association des amis du Petit Palais Genève

3) Pablo Picasso: Femme à la chemise, ca. 1905, Öl auf Leinwand, 72,7 x 60 cm. Tate, London 2013. © Succession Picasso/VG BILD-KUNST, Bonn 2013

4) Henri de Toulouse-Lautrec: Femme tirant son bas, 1894, Öl auf Leinwand, 58 x 46 cm. Musée d’Orsay, Paris © bpk | RMN - Grand Palais | Hervé Lewandowski

5) Henri de Toulouse-Lautrec: La troupe de Mademoiselle Églantine, 1896, Lithografie, verschiedene Farben auf sämischfarbenem Papier, 1896. © Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen. Foto: L. Lohrich

6) Henri de Toulouse-Lautrec: La Clownesse assise, Mademoiselle Ch-U-Ka-O, 1896, Lithografie, 51,5 x 39,4 cm. © Collection J.P. Gimbergues

    AUTHOR:
    LAURA SODANO

    Lebe lieber ungewöhnlich.

    Mode. (Pop-)Kultur. Feminismus. Was für die einen nach Schizophrenie par Exellence klingen mag, ist für sie selbstverständlich. Die Dame, die mindestens so gerne und schnell redet, wie sie denkt, sprudelt nur so vor kreativem Kopfchaos, von dem ihr Umfeld selten verschont bleibt. Sprache ist ihr Medium. Das nuancierte Spiel mit pointierter Artikulation ihre Waffe. Schokolade ihr Laster. Bei Mode und Literatur setzt ihr Verstand nur zu gerne aus.