Ausstellungstipp: "Privat" / SCHIRN FFM

laura
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Wenn das Private öffentlich wird.
Bilder via PR

 

Privatheit – das verkörpert einen Moment von Zurückgezogenheit, impliziert Intimität und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich. Im Privaten kann sich der Mensch jenseits seines durch öffentliche Konventionen geprägtes Bild entfalten. Jahrhundertelang war Privatheit ein notwendiges Element, das für so manche soziale Gruppe oft den schmalen Grad zwischen Existenz und Verderben ausmachte.
Doch was passiert, wenn die ursprüngliche Bedeutung von Privatheit ausgehebelt wird? Was, wenn wir uns scheinbar nicht mehr länger diesen schützenden Mantel überwerfen wollen? In Zeiten von Web 2.0 und Social Web gewinnt der Exhibitionismus immer größere Relevanz. Egal ob Urlaubsfotos, Freundeskreis, Beziehungsstatus, den eigenen Geburtstag, innere Befindlichkeiten, Lieblingsbuch, Lieblingsfilm, das eigene Mittagessen oder was auch immer – jeder noch so kleine Aspekt scheint seinen Platz auf der Bühne "Öffentlichkeit" zu finden. Wir wollen nichts mehr verbergen. Denn jedes Detail, dass wir über uns preisgeben, gestaltet das Bild, das andere von uns bekommen: Unser Image. Gleichzeitig scheinen damit die Schranken zwischen dem, was das Wesen einer Person wirklich ausmacht und dem, was sie an der Oberfläche stilisiert und zelebriert, immer größere Bedeutung zu gewinnen.
Die Frankfurter Kunsthalle SCHIRN, die in erster Linie für eine Auseinandersetzung mit moderner bis zeitgenössischer Kunst steht, widmet dem Thema Privatheit eine ganze Ausstellung und stellt dabei die Frage, in wie weit sich diese gegenwärtig im Wandel befindet. Medienpartner wie Vice und Interview sorgen dabei für das richtige mediale Flair. Vom 1. November 2012 bis zum 3. Februar 2013 präsentieren unter dem Titel „Privat“ namhafte zeitgenössische Künstler wie Tracy Emin, Nan Goldin, Ai WeiWei oder Mike Bouchet das Spiel mit der "Post-Privacy". Denn "die schrankenlose Ausdrucksoffenheit zwischen Selbstenthüllung, Erzähllust, Zeigefreude und Voyeurismus sind soziale Strategien unserer Zeit, in der längst ein Strukturwandel von Öffentlichkeit stattgefunden hat", so heißt es im Pressetext zur Ausstellung.
Von gestellten Szenarien über authentische Eindrücke bis hin zu Familienfotos als eine Art Zwischenposition: bei praktisch allen Werken stellt sich dem Betrachter grundsätzlich die Frage, wann der Blick in das intimste Leben anderer die eigene Schmerzgrenze überschreitet. Wo z.B. ein Sammelsurium aus Polaroids noch die bewusste Inszenierung von Image über eine gezielt gefärbte Darstellung von Privatheit zeigt. Da tritt im nächsten Moment bei der Betrachtung einer vermeintlich todkranken Frau im Krankenbett jenes beengende Gefühl zutage, dass man an dieser Stelle doch mehr gesehen hat, als eigentlich lieb gewesen ist. Und spätestens beim Anblick schlafender Menschen in Bahnen, fühlt man sich in seinem eigenen Unvermögen einer völligen Kontrolle über die eigene Privatsphäre ertappt.
Wie weit müssen wir also gehen, um zu realisieren, von welcher Bedeutung das Private für uns – für unseren eigenen Schutz – eigentlich ist? Denn ein Problem im Anspruch permanenter Verfügbarkeit liegt nicht nur darin, dass wir zunehmend dazu angespornt werden, die eigenen Hemmungen fallen zu lassen. Viel wichtiger ist wohl die Frage, was passiert, wenn unsere Offenheit sich gegen uns wendet und uns in den Abgrund zieht. Wenn die Bilder der vergangenen Nacht uns kompromittieren, auf hinterhältige Weise vorführen oder einen Teil von uns entlarfen, den wir selbst nur zu gerne verbergen möchten. Was, wenn wir dann auf einmal erkennen müssen, dass die Dystopie des gläsernen Menschen längst Teil unseres Lebens ist.
Der Ausstellung gelingt es, die Ebene bewusst stilisierter Inzenierung mit dieser anderen, abgründigen Seite zu verbinden, ohne dabei penetrant mit dem moralischen Finger darauf zu deuten. Es lohnt in jedem Fall der SCHIRN einen Besuch abzustatten.

 

Ausstellung: Privat (Privacy)
Kunsthalle SCHIRN
Römerberg Frankfurt
1. November 2012 - 3. Februar 2012

 


 

Bildindex (Bilder via PR):

1) Privat: Katalog, 2012 Herausgegeben von Martina Weinhart und Max Hollein. Deutsch-englische Ausgabe, 240 Seiten, Zürich; Distan Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-942405-89-8,
2) Nan Goldin: Simon and Jessica Kissing in the Pool, Avignon, 2001 Aus: Heartbeat, 2000/01 Zusammengestellt 2012 Digitale Diaschau, Soundtrack: Prayer of the Heart von John Taverner, interpretiert von Björk and the Brodsky Quartet Courtesy Nan Goldin © Nan Goldin
3) Ryan McGinley: Marcel, Ann & Coley, 2007 23,5 x 35 cm C-Print Privatsammlung Fribourg/Schweiz © Ryan McGinley, Foto: Courtesy of the artist, Alison Jacques Gallery, London, Team Gallery, New York, und Bischoff Projects, Frankfurt
4) Ryan McGinley: Kiss Explosion, 2005 183 x 122 cm C-Print Courtesy collection agnes b. Foto: Courtesy of the artist, Alison Jacques Gallery, London, Team Gallery, New York, und Bischoff Projects, Frankfurt
5) Mark Morrisroe: Untitled - Embrace (John S. and Jonathan) Farbabzug40,5 x 50,6 cm Sammlung F.C. Gundlach/Haus der Photographie, Deichtorhallen Hamburg © Nachlass Mark Morrisroe (Sammlung Ringier) im Fotomuseum Winterthur
6) Richard Billingham: Ohne Titel, 1989-1996 Aus der Serie Ray's a Laugh, 1989-1996 C-Print 120 x 80 cm Sammlung Fotomuseum Winterthur © Richard Billingham, DACS London
7) Privat Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt Foto: Norbert Miguletz
8) Evan Baden: Emily, 2010 Aus der Serie Technically Intimate, 2010 Druck auf Aluminium 102 x 127 cm © Evan Baden

    AUTHOR:
    LAURA SODANO

    Lebe lieber ungewöhnlich.

    Mode. (Pop-)Kultur. Feminismus. Das ist Laura. Was für die einen nach Schizophrenie par Exellence klingen mag, ist für sie selbstverständlich. Die Dame, die mindestens so gerne und schnell redet, wie sie denkt, sprudelt nur so vor kreativem Kopfchaos, von dem ihr Umfeld selten verschont bleibt. Sprache ist ihr Medium. Das nuancierte Spiel mit pointierter Artikulation ihre Waffe. Schokolade ihr Laster. Bei Mode und Literatur setzt ihr Verstand nur zu gerne aus.